Eher tragen mich zwei Rotkreuz-Helfer von der Strecke
Es war heute das erste Mal, dass ich die Übertragung des Berlinmarathon verfolgt habe. Letztes Jahr wäre ich nicht im Traum darauf gekommen, mir das anzutun. Warum also jetzt? Ich gehöre erst seit einem Jahr dazu. Zu den “Normalo” -Läufern mit einer durchschnittlichen Pace und einer durchschnittlichen Fitness. Unvorstellbar, jemals diese Strecke zu laufen, geschweige denn, sie in einer Zeit zu “finishen”, bevor die ganze Veranstaltung abgebaut wird. Am Ende im Besenwagen zu sitzen, würde ich für mich noch als Erfolg verbuchen. Eher würden mich zwei Rotkreuz-Helfer mit einer Bahre von der Strecke tragen – oder ich würde aus freien Stücken hinterm Klohäuschen verschwinden und einfach nicht wieder kommen. Gestern bin ich erstmals über die Strecke von 15 km gekommen. Schon denke ich an mehr und schiele darauf, irgendwann vielleicht doch einen Halbmarathon zu laufen. Ich werde jetzt erst einmal weiter trainieren und schauen, wie sich alles entwickelt. Ein erreichbares Zwischenziel steht. Woher die Motivation kommt, kann ich gar nicht genau lokalisieren, also muss sie intrinsisch sein. Schließlich bin ich vor einem Jahr bei 0 km gestartet und stehe jetzt ohne äußeren Zwang bei 15 km. Das allein motiviert schon unglaublich. Motiviert Euch das auch?
Ansteckende Freude in den Gesichtern
Die Atmosphäre des Berlinmarathons hat mich heute echt geflasht. Und damit meine ich weniger den Hype um die favorisierten Afrikaner, sondern die motivierten und lachenden Gesichter der “Normalos”, bei denen der Spaß im Mittelpunkt stand. Plötzlich überkam mich eine unbändige Lust, selbst einmal Teil dieses Events zu sein, auch wenn es mir zum jetzigen Zeitpunkt utopisch zu sein scheint. (“Hey – man muss sich Ziele setzen!”). 15 km am Stück zu laufen, schien mir vor einem Jahr ebenfalls utopisch. Warum sollte also der Marathon nicht erreichbar sein? Auch wenn es sich für einige so anhören sollte, ich gehöre nicht zu den Verbissenen, die jeden Tag immer höher, schneller, weiter müssen und deren einziges Ziel es ist, beim Laufen ganz vorne mit dabei zu sein. Ich gehöre zu denen, die das Laufen für sich entdeckt haben. Unmerklich wurden die Strecken länger, die Tempi höher, ohne, dass ich das irgendwie zu meinem Plan gemacht hätte. Daraus bekam meine Grundmotivation weiter Nahrung, die sich vorsichtig am bereits Erreichten orientiert. So werde ich auch kontinuierlich weiter machen und zusehen, dass der Spaß beim Laufen erhalten bleibt. Das ist für mich wichtig: etwas für meine Gesundheit zu tun, was mir auch Spaß macht. Was mich am Berlinmarathon fasziniert hat – und dabei saß ich nur vor dem Fernseher – war die motivierte (Vor-) Freude, die sich in den Gesichtern der Teilnehmer widerspiegelte. Das fand ich wunderbar ansteckend, unabhängig von Geschwindigkeiten um 3 Minuten pro Kilometer, Weltrekorden und Preisgelder.
Freizeitläufer zu wenig beachtet
Was Philip Pflieger heute passierte, war einerseits tragisch, andererseits für mich als Freizeitläufer die Abgrenzung zum Marathon-Wahnsinn, den viele betreiben. Für Pflieger stand sportlich heute viel auf dem Spiel. Aus der Sicht eines Profis konnte er einem wirklich leid tun. Wilsan Kipsang hingegen verkraftete sein überraschendes Aus besser, obwohl er leistungsmäßig noch weit vor dem Deutschen liegt. Für Anna Hahner habe ich mich ehrlich gefreut. Wie spannend die Jagd nach Rekorden und das Finale heute auch gewesen sein mag, war es Schade, dass die Übertragung um 12.00 Uhr endete. Dabei wäre das DIE Gelegenheit gewesen, im Anschluss daran den Fernsehzuschauern etwas von dem zu vermitteln, wovon das ganze Event lebt, nämlich von der Begeisterung Zigtausender ganz normaler Freizeitläufer, die – medial gesehen -als größte Startergruppe leider völlig unbeachtet geblieben ist. Ein Grund mehr für mich, mit denen zu feiern, die laufen um des Laufens willen. Wo sollte das besser gehen als in Berlin?
Fotos: Lizenzfrei www.pixels.com/de, © Daniel Bär